Maeder und Nolot verteidigen Weltmeistertitel
Der ultimative Härtetest stand vergangene Woche für alle Fahrerinnen und Fahrer an, die aus aller Welt in Hyères zusammen kamen, um auf der Weltmeisterschaft im Kite-Racing ihr allerbestes abzuliefern. Mit insgesamt 124 Starterinnen und Startern aus 35 Nationen war dabei nahezu jeder Winkel des Globus vertreten – von Deutschland bis Neuseeland, von Kolumbien bis Finnland, alle sollten darum kämpfen, die wohl schwierigste Goldmedaille der bisherigen Kitesurf-Geschichte zu ergattern.
Gleich mehrere Gründe sprachen schon in der Vorbereitung auf die WM dafür, dass die diesjährige Weltmeisterschaft in besonders hartem Konkurrenzkampf extraordinäre Rennen hervorbringen würde. Zum einen war dies der letzte internationale Wettkampf vor den Olympischen Spielen und somit auch die letzte Chance für die Verbände, den oder die Starterin zu nominieren beziehungsweise zu selektieren – ein absoluter Boost für den innernationalen Konkurrenzkampf. Hier lag der Fokus beispielsweise auf dem deutschen Zweikampf zwischen Florian Gruber und Jannis Maus, oder auch auf dem polnischen zwischen Maks Zakowski und Jan Marciniak, die erst wenige Wochen zuvor bei der SOF in spannenden Rennen ihren Nationenplatz ergattert hatten (s. vorherigen Newsblog). Außerdem kam erschwerend hinzu, dass die diesjährige WM extrem früh im Jahr stattfand und den Kiterinnen und Kitern somit nach dem Wintertraining nur wenig Zeit gab, physisch und psychisch „on-point“ zu sein.
Und gleich der erste Renntag sollte die 78 Männer und 46 Frauen auf die Probe stellen. Mit 18-25 Knoten und sehr kurzer, steiler Welle war eine Kombination aus absoluter Fokus und herausragende Kontrolle der Schlüssel, um Rennen zu gewinnen. Auf entweder leicht unterpowerten 11er oder extrem stark angepowerten 15er VMGs schossen beide Flotten mit bis zu 75 km/h über den Racekurs und ließen keinen Raum für Fehler.
Da die ersten drei Tage des Wettkampfes noch zur Qualiserie gehören und die Herren- und Damenfelder auf drei beziehungsweise zwei Flotten aufgeteilt werden, gab es somit gleich mehrere Gewinner des Tages. Einerseits zeigten die beiden Titelverteidiger Lauriane Nolot (FRA) und Max Maeder (SGP), wieso sie in bereits allen diesjährigen Rennen ihre Favoritenrolle durchsetzen konnten, und gewannen all ihre Rennen. Aber auch Bruno Lobo (BRA) und Jessie Kampman (FRA) zeigten außerordentliche Leistungen mit jeweils drei Rennsiegen in ihren Flotten. Unnötige Zusatzpunkte, die ihn später noch sehr teuer zu stehen kommen würden, sammelte Axel Mazella (FRA), der zwar ebenfalls drei Rennen gewann, allerdings aufgrund einer fehlenden, aber notwendigen Markierung am Board für jedes Rennen einen „Standard-Penalty“ erhielt. Das bedeutet, anstelle von drei Rennsiegen, standen am Ende des Tages drei 2. Plätze auf seinem Score-Board.
Am zweiten Tag zeigte sich die Côte d‘ Azur zwar mit einer etwas seichteren, nichtsdestotrotz nicht weniger herausfordernden Ost-Brise. Den Start machten die drei Männerflotten auf leicht unterpowerten 15ern. Die abnehmende Vorhersage hielt dabei die Caddys am Strand in Atem, denn einerseits möchte niemand den Zeitpunkt verpassen, auf den größeren Kite zu wechseln, andererseits möchte niemand der erste Wechselnde sein, um bei gleichbleibender Brise keinen Nachteil zu haben. Und tatsächlich erlaubte sich der Wind einen kleinen Spaß mit den Fahrern: Passend zur Vorhersage nahm der Wind leicht ab. Ein Großteil der Fahrer wechselte auf ihre 23er VMGs, nur um im folgenden Rennen festzustellen, dass der Wind wieder zunehmen und stetig stärker werden sollte. Diejenigen, die geduldig abgewartet hatten, waren somit nun im Vorteil und nutzen dies voll aus.
In seiner Flotte gewann Mazella dominant alle 4 Rennen, ebenso wie der 17-jährige Maeder. Bei den Damen setzte sich Poema Newland (FRA) nach einem katastrophalen ersten Tag in drei der vier Rennen gegen alle Konkurrentinnen durch und kletterte zurück in die Top 10. In der anderen Damenflotte teilten Nolot und Elli Aldridge (GBR) die vier Rennsiege unter sich auf und zeigten in ihren Rennen, dass es trotz drehender Winde und wechselnder Verhältnisse nicht nur auf Glück, sondern vor allem auf gute Starts und Übersicht über den Rennkurs ankommt.
Der letzte Tag der Qualifikation, der über die Aufteilung in Gold, Silber und Bronze entscheiden sollte, brachte eine neue Windrichtung an den Strand. Sonne und ein zunehmender Westwind verhalfen zu einem perfekten Tag auf dem Wasser. Auch brachte die Windrichtung neue taktische Optionen auf den Plan: Bei der klassischen Mistral-Richtung hatte sich während der SOF (der letzte größere Wettkampf am gleichen Eventspot, nur wenige Wochen vor der WM) abgezeichnet, dass auf dem ersten Upwind-Kurs vor allem die rechte Seite stark sein kann, sodass im Laufe des Tages sehr viele Startvarianten von den Fahrern ausprobiert wurden. Mit zunehmendem Wind entwickelte sich der Kurs allerdings zurück zu einem „normalen“ Speedkurs mit weniger taktischer Finesse und mehr rohem Speedgame. Bei den Damen waren es erneut Aldridge und Nolot, die die meisten Rennsiege einfuhren. Bei den Männern gewann Mazella gleich alle vier Rennen und „The Robot“ Maeder drei der vier Rennen. In der dritten Flotte wechselten sich Jannis Maus (GER) und Riccardo Pianosi (ITA) mit den Rennsiegen ab.
Somit standen nun die Gold-Flotten fest, in denen es die nächsten beiden Tage um den Einzug in die Medal Races gehen sollte. Mit einer am Folgetag auf Ost zurückschwenkenden Vorhersage war schon früh am Tag klar, dass der Mistral an diesem Tag nicht sonderlich stark werden würde. Und so starteten die beiden Gold-Flotten der Damen und Herren am untersten Windlimit in die Serie. Bei 6 Knoten ging es nun vor allem darum auf den riesigen Schirmen sowohl auf Upwind als auch auf Downwind im „Pressure“ zu bleiben – das heißt in den Windzonen mit dem meisten Wind zu fahren, aber gleichzeitig die Zahl der Manöver zu minimieren. Denn jedes Manöver birgt nicht nur das Risiko vom Foil zu fallen und wertvolle Minuten darauf zu verschwenden wieder anzufahren, sondern jede Wende und Halse kostet Zeit, die besser darauf verwendet ist, in gerade Linie zu fahren. In diesem Windbereich gibt es ein paar Spezialisten, aber vor allem Riccardo Pianosi schafft es fast immer, ganz vorne zu landen. Und so musste sich Maeder nun das zweite Mal im gesamten Wettkampf mit einem 2. Platz zufriedengeben, gewann allerdings die restlichen Rennen des Tages.
Bei den Damen kam es bei den leichten Winden an der ersten Luvtonne des letzten Rennens zu einem (zumindest für die Zuschauer) besonderen Spektakel: Gleich mehrere Fahrerinnen verschätzen sich mit der Layline und mussten, aus Mangel an Alternativen, versuchen mit einer bestimmten Pump-Technik doch noch um die Tonne zu kommen. Das verursachte allerdings einen solchen Rückstau, dass die großen 21m² Kites am Himmel kollidierten und allesamt crashten. Davon konnten dann wiederum Kampman und Elena Lengwiler (SUI) profitieren, den Tangel weiträumig umfahren und die Positionen eins und zwei belegen.
Auch Tag 2 des Goldfleet-Racings bot der Flotte absolute Sahnebedingungen zum Racen. Aufgrund der neuen Windrichtung aus Ost und der Ufertopografie ging es nun wieder darum, so gut wie möglich die linke Seite des Kurses auszufahren, ohne ins Abseits gedrängt zu werden. Bei den Männern blieb der erste Platz dabei unangefochten bei dem jungen Singapurer, der zweite Platz, welches ein direktes Ticket ins Finale der Medal Races am Folgetag bedeutet, war heiß umkämpft von Mazella und Pianosi. Am Ende des Tages sollten die beiden Fahrer nur ein einziger Punkt trennen, was für Mazella, der am ersten Tag besagte drei Strafpunkte erhalten hatte, besonders schmerzhaft sein musste. Somit würde er am nächsten Tag erst im Halbfinale gewinnen und anschließend ohne einen Vorsprungspunkt ins Finale starten müssen – ein deutlich schwierigerer Weg, als direkt im Finale platziert zu sein.
Bei den Damen ließen die beiden Führenden Nolot und Aldrige hingegen nichts anbrennen und sicherten sich – auch durch ihren bereits aufgebauten Vorsprung – mit soliden Top 5 Ergebnissen die direkten Plätze im Finale des Medal Races am Folgetag.
Somit hieß es nun wieder einmal: Super-Sonntag! Bei direkt auflandigem, durch die Thermik verstärkten Wind starteten alle Halbfinals der diesjährigen Weltmeisterschaft exakt on time. Und auch wenn alle Rennen extrem stark umkämpft waren, so setzten sich doch durchweg alle im jeweiligen Halbfinale Erstplatzierten durch, sodass beide Finalrennen aus den Top 4 der Qualiserie bestanden. Mit Lauriane Nolot, Jessie Kampman und Poema Newland war die französische Beteiligung des Damenfinals gewohnt hoch und Aldridge dementsprechend unter Druck. In klassischer Manier startete Nolot auf der kurzen Startlinie ganz im Lee der drei anderen Fahrerinnen, um ihren Speed vollkommen ausspielen und den etwas stärkeren Wind der linken Seite nutzen zu können. Mit einer schnellen Wende unter der Flotte entschied sie den Kampf zur ersten Luvtonne für sich und konnte von dort alle anderen Fahrerinnen hinter sich halten und ihren zweiten Weltmeistertitel einfahren. Das Podium komplettierten die amtierende Europameisterin Ellie Aldridge mit Silber und Jessie Kampman mit Bronze.
„Auch wenn ich anfangs etwas nervös war, so wusste ich doch, dass mir mein Homespot Glück bringen würde!“ – Nolot
Beim Herrenstart wählte der Titelverteidiger Maeder die entgegengesetzte Strategie. Mit einem Start im Luv der anderen Fahrer hatte er zwar die schwerere Linie zu halten, konnte aber aufgrund seines Vorfahrtrechts alle anderen Fahrer kontrollieren und genau zu dem Zeitpunkt wenden, an dem er es für richtig hält. Dieser taktische Move war es dann auch, der am Ende des ersten Schlags die beiden direkten Verfolger Pianosi und Mazella um ein Haar ineinander crashen ließ. In der Situation musste der Italiener Pianosi dem Franzosen Mazella, der ohne Wegerecht seine Wende einleitete, im letzten Moment ausweichen, was beide Fahrer weit zurückwarf. Im weiteren Rennverlauf konnte der 17-Jährige nun auch noch Bontus souverän hinter sich halten und damit seinen zweiten Weltmeisterschaftstitel ergattern. Bei Zieleinlauf brach es dann aus Max Maeder heraus und er zelebrierte diese wirklich beeindruckende und wohlverdiente Leistung. Das Treppchen der Männer wurde von Riccardo Pianosi auf dem zweiten und Valentin Bontus auf dem dritten Platz komplettiert.
Nun richten sich alle Blicke auf das nur 60 Kilometer entfernte Marseille, wo in nur etwas mehr als zwei Monaten das Kitesurfen Geschichte schreiben wird. Das Olympia-Debut dieser atemberaubenden Sportart wird hier von den 20 besten Nationen der Welt begangen und setzt einen Meilenstein für alle Sportler, deren Traum es ist Teil der größten Sportveranstaltung der Welt zu sein.
written by Jannis Maus
photos by IKA / Robert Hajduk