Nie waren die Einsätze höher, als bei der Semaine Olympique Francaise – dem Worldcup im französischen Hyères an der Côte d’Azur.

Die diesjährige Regatta, bei der alle Segeldisziplinen, zu denen auch Formula Kite Men und Women gehören, antreten, war gemeinhin als die „Last Chance Regatta“ (LCR) bekannt. Denn hier sollte sich entscheiden, welche Kiterinnen und Kiter die letzten verbliebenen fünf Startplätze für die olympischen Sommerspiele in Paris ergattern. Von den insgesamt nur 20 Nationenplätzen, die bei Olympia für Männer und Frauen verfügbar sind, wurden die restlichen 15 Plätze bereits bei vorherigen Kontinentalmeisterschaften und der Weltmeisterschaft 2023 in Den Haag vergeben. Somit hieß es nun für alle noch nicht qualifizierten Nationen „alles oder nichts“.

Da die Nationenqualifikation und die Auswahl der Athletinnen und Athleten, die diesen Nationenplatz am Ende füllen, ein zweigliedriger Prozess ist, gab es schon in der Vorbereitung auf die LCR unterschiedliche Herangehensweisen der Segelverbände an den Wettkampf. Während beispielsweise die USA die Selektion bereits im Januar in Florida abgeschlossen hatte, und somit nur den Gewinner der Auswahl – Markus Edegran – nach Hyeres schickte, erhofften sich Polen oder Israel höhere Chancen auf den ersehnten Startplatz, indem sie mehrere Fahrerinnen und Fahrer ins Rennen schickten.

In der Männerflotte kämpften somit 40 Fahrer aus 23 Nationen und bei den Damen 22 Fahrerinnen aus 18 Nationen um eins der letzten 5 Tickets nach Marseille. Und direkt der erste Race-Tag sollte zeigen, wie spannend dieser Kampf sein wird. Gleich vier aus fünf Rennsiege gingen an unterschiedliche Nationen mit Alexander Ehlen (MON), Dvir Azulay (ISR) und Maks Zakowski (POL). Nur Kameron Maramenidis (GRE) schaffte es, zwei Bullets einzufahren. Bei den Damen zeichnete sich hingegen schon sehr früh eine Dominanz der Schweizerin Elena Lengwiler ab. Sie gewann vier der fünf Rennen und platzierte sich vor den beiden Polinnen Damasiewicz und Satrjan.

Am zweiten Tag erwartete der Rennkurs alle Fahrer mit einer leicht pendelnden, aber stabilen Südwestbrise, die vor allem eins bedeutete: Speed is King! Und auf diesem Thron präsentierte sich, nachdem er die letzten beiden Qualifikationsmöglichkeiten bei WM und EM 2023 verpasst hatte, Connor Bainbridge (GBR) und gewann alle Rennen des Tages. Auch bei den Damen zeigte Lengwiler erneut Dominanz. Für eine Überraschung im letzten Rennen des Tages sorgte allerdings die Finnin Noora Ruskola, die sich mit einem Steuerboardstart (Start ohne Vorfahrt) vor die gesamten Flotte setzen konnte und diese Führung bis zum Ende des Rennens verteidigte. Mit diesem Kunststück beförderte sie sich auf den 5. Platz in der Nationenwertung und somit in Reichweite des Nationentickets für Olympia.

Doch auch bei den Männern wurde der Kampf um die Nationenplätze immer aufregender und enger. Hinter Bainbridge (GBR) folgten mit Zakowski und Marciniak gleich zwei Polen, die zeigten, dass mehrere intensive Wintertrainings auf der kanarischen Insel Fuerteventura durchaus Früchte tragen und verwiesen die restlichen Nationen auf die Plätze außerhalb des Podiums. Zu den Mitstreitern um die restlichen drei Tickets, alle innerhalb weniger Punkte in der Top 10 angesiedelt, zählten vor Alexander Ehlen (MON), Markus Edegran (USA), Bruce Kessler, (SUI), Bernat Cortes (ESP), Kameron Maramenidis (GRE) und Dor Zarka (ISR), die sich nichts schenkten und die Platzierungen 2 bis 9 immer wieder neu unter sich ausmachten.

Am letzten Tag der Qualiserie ging es nun also darum, soweit es geht die Punkte zu reduzieren und sich möglichst weit vorne in den Top 10 für die Medal-Races zu positionieren. Und das Wetter machte es den Fahrerinnen und Fahrern nicht gerade einfach. Mit einer sehr nördlichen Mistral-Windrichtung wurde zunächst der Start verschoben, bis sich eine bestimmte Windrichtung durchgesetzt hatte, nur um dann bei böigem, ablandigem Wind die richtige Kitegröße wählen zu müssen. Die Durchsage vom Race-Direktor Mirco Babini über Funk „9-22 Knoten aus 235°“ half dabei nicht gerade, die Nerven zu beruhigen. In der normalerweise durch Plaudereien und Späße dominierten Launching Area herrschte eine unglaubliche Anspannung. Als die Fahrerinnen und Fahrer schließlich mit vorwiegend 11 oder 15m² VMG an den Start gingen, zeigte sich schnell, dass heute nicht nur Geschwindigkeit, sondern vor allem eine gute Übersicht über schnelle Winddreher der Schlüssel zum Erfolg sein würden. Verursacht durch den ablandigen Wind und der relativ hügeligen Landschaft um Hyeres schickte der Wind teils bis zu 35° drehende Winde über den Rennkurs, die nur anhand der unterschiedlichen Kräuselung des Wassers zu erkennen waren.

Nach insgesamt 14 Rennen der Qualiserie standen am Abend die Finalisten fest. Bei den Frauen sollten am Finaltag 7 Nationen um die 5 verfügbaren Plätze kämpfen und bei den Männern waren es sogar 8 verschiedene Länder, die die Top 10 füllten und an den Medal-Races teilnehmen durften. Das Hissen der „Delta“-Flagge um 12:50 Uhr bedeutete den Startschuss für die vermutlich bis dato bedeutendsten Semi-Finals der noch jungen Formula-Kite Geschichte. Die Halbfinals, in denen die Sportlerinnen und Sportler Rennsiege einfahren müssen, um ins Finale zu kommen, wurden bei den Damen direkt von der Polin Izabella Satrjan und Derin Atakan (TUR) entschieden, sodass das Finale mit SUI, POL und TUR bereits drei der Olympiatickets vergab. Durch die in der Qualifikationsserie ergatterten Punkte konnte Alina Kornelli sich das vierte Nationenticket sichern. Das fünfte Ticket sollte im indirekten Vergleich zwischen Mafalda Pires de Lima (POR) und Noora Ruskola (FIN) vergeben werden. Ruskola verpasste in ihrem Halbfinale den dritten Platz knapp, sodass es nun an de Lima lag, mindestens einen Platz besser als Ruskola in ihrem Halbfinale zu erreichen. In einem engen Kampf mit Marina Vodisek (SLO) bewies de Lima absolute Nervenstärke, überholte die Slovenin auf dem letzten Downwind-Schenkel und sicherte Portugal den ersten Platz bei den olympischen Spielen.

Aber nicht nur die Frauen wissen, wie man die Zuschauer am Strand in Atem hält. Bei den Herren mussten insgesamt sechs Semi-Finals gefahren werden, um zu bestimmen, welche beiden Fahrer die verbliebenen Plätze des Finales füllen. Im Semi-Finale B war es Edegran (USA), der mit zwei konsekutiven Rennsiegen unter Beweis stellte, wieso er die US-internen Qualifikationen für sich entscheiden, und auch Maramenidis (GRE) hinter sich lassen konnte.

Im Semi-Finale A hingegen kam es zu einer unglaublichen Situation. Nach drei gefahrenen Rennen hatte jeder Teilnehmer mindestens einen Race-Win – entweder durch eins der Halbfinalrennen oder durch die aus der Qualiserie mitgenommenen Punkte. Als dann der Pole Marciniak seinen Finaleinzug schon fast in der Tasche hatte, stürzt dieser an der letzten Tonne 200m vor dem Ziel, sodass Bruce Kessler (SUI) seinen Rennsieg einfahren konnte. Die Stimmung am Strand war kaum zu überbieten, das gesamte Schweizer Team war aus dem Häuschen und feuerten ihren Landsmann an, einen weiteren Sieg und damit den fünften männlichen Nationenplatz zu holen. Doch im letzten Halbfinale macht Marciniak (POL) den Sack zu. Er fuhr mit einer etwas höheren Linie auf Port in Richtung Layline, konnte durch diesen Move die anderen Fahrer im Blick behalten und exakt zum richtigen Zeitpunkt die Wende setzen und somit als erster um die erste Luvtonne fahren. Dieses Mal hält er die Führung bis ins Ziel und qualifiziert sich für das Finale, sodass die männlichen Nationentickets schließlich an Großbritannien, Polen, USA, Griechenland und Israel gehen.

Nach diesem physisch als auch psychisch aufregendem Wettkampf haben sich die Fahrer nun eine kurze Pause verdient, bevor es in zwei Wochen am gleichen Eventspot in Hyeres mit der Weltmeisterschaft erneut in die Vollen geht. Für viele Nationen wird dies zudem der entscheidende Wettkampf sein, diejenigen Fahrerinnen und Fahrer zu selektieren, die die ergatterten Nationenplätze füllen werden. So zum Beispiel das deutsche Duell zwischen Florian Gruber und Jannis Maus, oder das polnische Duell zwischen Jan Marciniak und Maks Zakowski.

 

Schreibende Hand written by Jannis Maus
Kamera
photos by IKA / Robert Hajduk

 
 
Das FLYSURFER Team gratuliert allen Ridern zu der phantastischen Performance!

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